Im Rahmen der kosmopolitischen Reihe des Rautenstrauch-Joest-Museums: TanzKulturen der Welt
Kristóf Szabó
LICHTTRILOGIE
Mit Gedichten von Ingeborg Bachmann und Johannes Bobrowski
Teil 1. Film-Choreografie Teil 2. intermediales Tanztheater (nominiert für den Kölner Tanztheaterpreis 2011) Teil 3. Performance (UA)
Mitwelt
LICHTTRILOGIE ist ein spartenübergreifendes Tanztheater-Projekt. Mit Mitteln des zeitgenössischen Tanzes, des Animationsfilms, der Lyrik und der elektronischen Sound-Art zeichnen wir eine innere Reise nach und erforschen dabei die Veränderung des menschlichen Geistes hin zum (inneren) Licht. Der Trilogie liegt ein Verständnis vom prozesshaften Erlangen der Souveränität des Menschen und somit der Verantwortung für die Mitwelt zugrunde.
Parcours
Während des Abends wechseln wir zwischen den Spielorten Vortragssaal und Foyer des Museums. Der Ortswechsel thematisiert das Überschreiten von Grenzen, das Überwinden von physischen und mentalen Schranken: Türen werden geöffnet, Schwellen werden rituell übertreten, der Weg markiert einen mentalen Aufstieg, die Metamorphose.
Der Ablauf des Abend
Teil 1 LICHT – Film-Choreografie
Der Abend beginnt im Vortragsaal des Museums. Das Publikum folgt erst dem abstrakten Animationsfilm (Dauer 30 Minuten) der international bekannten Mapping- und Animationsfilmkünstler Ivó Kovács und László Zsolt Bordos, begleitet von Gedichten von Johannes Bobrowski und Ingeborg Bachmann sowie den Tänzern einer männlichen und einer weiblichen Figur, die sich gegenseitig suchen, verstoßen, lieben und verachten, ohne wirklich zusammenkommen zu können, bis sie endlich beschließen, gemeinsam zu sterben. In einer gemeinsamen Todesvision verwandeln sich beide in je einem roten Würfen und verschmelzen miteinander. Die Aufführung der Film-Choreografie Teil 1 LICHT, dauert insgesamt ca. 40 Minuten.
Kleine Pause – Verwandlung
Während der Pause verwandelt sich der Ort und das Publikum, das aus der Pause in den Saal zurückkommt, überschreitet rituell die Schwelle, um den Ort der Engel der Geometrie zu betreten, wo Mann und Frau jenseits von Leben und Tod existieren.
Teil 2 LICHT II DEEP BREATH – spartenübergreifendes Tanztheater
Nach der kurzen Pause geht es weiter mit dem zweiten Teil der Trilogie (LICHT II DEEP BREATH LICHT (ca. 50 Minuten), einem Tanztheaterstück, das bereits 2011 uraufgeführt und für den Kölner Tanzpreis 2011 nominiert wurde. LICHT II DEEP BREATH spielt in der Zeit außer der Zeit, nach dem Tod und vor dem Leben an einem Nicht-Ort der Geometrie, wo ein Würfel-Füßler das Menschenpaar bewacht. Doch das Paar gehen den Weg der inneren mentalen Emanzipation weiter, bemächtigt sich der Geometrie des Raumes und findet bald aus der Isolation in Liebe zueinander.
Gemäß dem Motto des zweiten Teils: „Wahre Erleuchtung erlöst selbst die Götter.“ (Buddha), wirkt sich die mentale Verfassung der Verliebten nicht nur auf den Würfel-Füßler aus, sondern auch auf den Geist, der Bilder der Angst in die Köpfe von Menschen, Tieren und sogar Göttern schickt. Diesen Geist, oder „Das gelbe Wesen“, durch einen Stein mit dem Engel der Geometrie verbunden, können die Menschen schließlich besiegen und sie bleiben mit der Frage nach dem Tod allein. Lautete die Erkenntnis im Paradies: „Die Welt hat keine Wahrheit, sie ist leer und frei“? Poesie ist das Fahrrad des Geistes!
Während der nun folgenden großen Pause von ca. 20 Minuten kann sich das Publikum im Café des Foyers im Museum erfrischen und erste Eindrücke untereinander austauschen.
Teil 3 LICHT III – Performance
Mit dem Auftritt von MEMORIA aus den Ausstellungsräumlichkeiten des Museums kommend, beginnt im Foyer des Museums der dritte Teil der Inszenierung. Ein Wesen halb Mensch halb Tier, getanzt von der am Butoh geschulten Gwendolin Gemmrich, kehrt gerade heim aus den 3000 Welten der Erinnerung, manifestiert durch das Museum selbst. Zuhause angekommen tanzt sie mit den gestalterischen Elementen der Welt, die allesamt unsagbar sind. Anschließend wird das Publikum von Tänzern, Engeln der Geometrie, abgeholt und zurück in den während der Pause umgestalteten Vortragssaal des Hauses begleitet, wo nun das Fest zum Aufbewahren von Wissen, des zukunftsorientierten verantwortlichen Denkens und Handelns, schlicht das Fest der freien Zukunft begangen wird. Dabei gilt unsere Aufmerksamkeit insbesondere der Utopie als Konzept der Menschheit zur Sicherung von Werten. Unsere Fragen entzünden sich entsprechend: Was ist wertvoll? Was wird aufbewahrt? Wer steuert diese Prozesse? Das Menschenpaar knüpft ein Netzwerk von Bindungen und Berührungen mit den Phänomenen der Welt und vernetzt sich zu einem einzigen großen Wurzelwerk, das aus der Substanz der Erinnerung und des kulturellen Gedächtnisses die Zukunft nährt und erhält.
Die Metamorphose kann außerhalb der Zeit gelesen werden; sie kann sich linear ereignet haben oder aber auch in einer mythischen Zeit. Dabei streift die Aufführung diverse Ansätze der Philosophie und der Religionen zur Definition der conditio humana, zur Erklärung des Todes, des großen Abschieds, zur Beschreibung der Existenz als heiliges Mysterium des sich Kreislaufs von Geburt – Altern – Krankheit – Tod.
ZU DEN EINZELNEN TEILEN
Heimat (LICHT – Teil 1 der LICHTTRILOGIE) Neubearbeitung der Urfassung von 2009
Wohnen in Wohnblöcken des 21. Jahrhunderts und das metaphysische Beheimatet-Sein in der Welt werden als zwei in der Moderne bereits einander fremd gewordene Konzepte von Heimat im ersten Teil der Trilogie (LICHT) in Szene gesetzt. Eine Auseinandersetzung mit Ideen der Bauhaus-Schule dient als Ausgangpunkt für das Hinterfragen der Vorstellungen über modernes Wohnen in einer materialistisch gedachten Welt. Die Frage nach dem Heiligen im Betondschungel der Großstädte ist auch die Frage nach der Geometrie als zeitloses Formprinzip des Bauens von Wohnstädten. Vom Menschen als Sprache der Ewigkeit verstanden, stets auf eine metaphysische Realität bezogen, ist die Geometrie als Gestaltungselement des Wohnens zugleich Ausdruck eines metaphysischen Beheimatet-Seins im Kosmos und! in der Geschichte. LICHT fragt nach diesen beiden Realitäten und nach ihrem Verhältnis zueinander. Souveränität, die sich durch Mitgefühl mit allen Lebewesen der Welt artikuliert und äußert, hat in einer rein historisch gedachten Welt, in der die Unvergänglichkeit von Schönheit und Jugend zu höchsten Werten geworden sind, keinen Platz. Vorurteile sind erneuerbare Ressourcen der Illusion vom göttlichen Ego. Das Tanzstück bricht aus und will aufbrechen – es entdeckt, dass erst durch eine rituell begangene Tötung des eigenen Egos die Tür aufgestoßen wird auf eine größere mentale Realität, in der die Verschmelzung der Gegensätze möglich ist. Die Entwicklung dieser Verschmelzung bildet das Grundthema vom zweiten Teil des Abends, DEEP BREATH (LICHT II).
Metamorphose (LICHT II DEEP BREATH – Teil 2 der LICHTTRILOGIE) Wiederaufnahme UA 2011
Im Denken Europas ist das Denken in Gegensätzen tief verwurzelt. Weiß begreift der dualistisch geprägte menschliche Geist in der Abgrenzung zu Schwarz, Licht in der Abgrenzung zur Finsternis, die Natur in der Abgrenzung zur Technik/Kultur. Die Vorurteile, die daraus resultieren, bestätigen das Selbstbild und das eigene Wertesystem durch Abgrenzung und Ausgrenzung, Diffamierung und Verleumdung, Ignoranz und Unterwerfung. Der dualistisch denkende Mensch braucht und erschafft seinen Gegensatz immer auf Neue, um gespiegelt im Anderen Gewissheit über sich selbst zu erlangen. (Schein)Identität kann ohne ein Gegenüber nicht auskommen; ihre Ursache und Wirkung sind Abhängigkeit und Leiden eines Menschen, der sich seines (modernen) Selbst nicht mehr sicher ist, im Kosmos nicht verortet und untergebracht zu sein scheint und auf den unaufhaltsamen Verfall seines (unsicheren) Ichs und dessen endgültigen Tod keine Antwort weiß. Spaß muss sein? Wie diesem Leiden wirklich begegnen? LICHT II DEEP BREATH zeigt ein Menschenpaar, das sich wie ein Gegenentwurf zur biblischen Erschaffung der Welt durch das Schaffen von Dualismen (oben und unten, Licht und Finsternis usw.) neu als eine Einheit erschafft, indem es in Liebe miteinander verschmilzt. War die Erkenntnis im Paradies: „Die Welt hat keine Wahrheit sie ist leer und frei.“? Über mehrere Stationen verfolgen wir den Prozess, bei dem mit der Entdeckung der Harmonie (Szene: Yin und Yang) bald auch die Farben im Lichte der Freude, ein Indiz für wahre Identität, sichtbar werden. Die Verwirklichung der Liebe ist die Versöhnung der Gegensätze des Historischen Menschen und Kosmischen Menschen und zugleich die Auflösung dieser beiden Konzepte. Das Stück fragt nach dem großen Thema der Religionen, der Religiosität, des Lebens: nach der Liebe als Antwort auf den Zyklus Geburt – Altern – Krankheit – Tod als die Kraft, die den Zyklus anzuhalten imstande ist. Je ein eingesprochenes Gedicht von Ingeborg Bachmann und Johannes Bobrowski verorten die Liebe aufs Neue in der Jetztzeit.
Speichern/das Fest (LICHT III – Teil 3 der LICHTTRILOGIE)
Uraufführung – Neuproduktion in Vorbereitung – wird mit dem Ensemble weiterentwickelt
Nach der Pause wird das Thema: der Mensch als historisches und a-historisches Wesen auf die Zukunft bezogen. Wie im Teil 1 und 2 der Trilogie mit Kosmos und! Geschichte wollen wir an dieser Stelle im Kontext des Museums den Fragen nachgehen: Was ist Aufbewahren von Kultur (Kosmos), was ist Speichern von Leben, von lebenserhaltenden Substanzen (Geschichte)?
„Spiel ist Alles – Sein ist Nichts“, untertitelt Ingmar Bergman seinen Film Ritus. Im Ritus werden nun Spiel und Sein, Alles und Nichts als ein nie voneinander getrenntes Ganzes sich offenbaren.
Im dritten Teil der Aufführung übernimmt die Animation eine besonders wichtige Rolle. Durch ein sogenanntes Mapping-Verfahren wird mit einem Hochleistungsprojektor auf den Reisspeicher im Foyer des Museums das detailgetreue Abbild des Reisspeichers projiziert. Der Zuschauer merkt nicht, dass er bereits auf eine Projektion schaut, während er den Reisspeicher vor sich sieht. Plötzlich beginnt der Reisspeicher zu leben! Die Animation thematisiert die eben genannten Kernfragen: Was ist Aufbewahren, was ist Speichern? Welche Substanzen werden aufbewahrt, wo und wie? Was sind die Verfahren des Speicherns? Was ist die Rolle eines Ortes, der zum Aufbewahren von materiellen Substanzen gebaut und in Betrieb genommen wurde, während diese materiellen Substanzen in ihrer Original-Funktion dazu da waren, immaterielle Substanzen für den Menschen erlebbar zu machen? Ist so ein Ort, wie z. B. ein Museum für Völkerkunde, ein sakraler Ort oder ein Ort der Entweihung kultischer Gegenstände? Zum Schluss dieses ersten Parts von LICHT III geleiten die Darsteller das Publikum in den Vortragsaal des Museums, wo Speichern/Das Fest (LICHT III – der dritte Teil der LICHTTRILOGIE) fortgesetzt wird.
Fortsetzung Speichern/Das Fest (LICHT III – Teil 3 der LICHTTRILOGIE)
In der Zwischenzeit wurde im Vortragsaal des Museums das Bühnenbild für die Fortsetzung des dritten Teils umgebaut.
Ca. 30 – 35 Minuten dauert anschließend die Fortsetzung von LICHT III und widmet sich der Frage nach der Zukunft des Menschen im Kontext seiner eigenen Geschichte. War der Mensch im ersten Teil (LICHT) Opfer seiner Geschichte und ohne a-historischen (sakralen) Kontext, so hat er sich diese kosmische Verwurzelung im zweiten Teil (LICHT II DEEP BREATH) neu erarbeitet und ist nun im dritten Teil (LICHT III) in sich und im Kosmos ruhend, kommunikativ, im Flow. Im Flow können sich alle verwandeln. In den neuen Lichtverhältnissen kommen die Farben zur vollen Entfaltung und bilden ein Spektrum. Grenzen zwischen Innen (Tänzer) und Außen (Publikum) werden aufgelöst. Energie gestaltet und setzt das Potenzial einer Zukunft voraus.
Die Entwicklung hin zu diesem Punkt wird bei den Proben anfangs über die Auseinandersetzung mit der biblischen Geschichte von Kain und Abel eingeleitet: Es heißt dort, die beiden Brüder suchten durch ein Opferritual die Gunst Gottes zu erlangen. Da das Opfer Abels von Gott angenommen wurde, das Kains jedoch nicht, kam es vor blinder Eifersucht zum Brudermord. Ist Flow genau das Gegenteil eines solchen (mörderischen) Menschenbildes? Ist innerer wie äußerer Frieden eine Frage der Souveränität des Menschen, sich selbst als heilig (erleuchtet) erkennen zu können und nicht mehr auf einen Spiegel (Ebenbild Gottes) angewiesen zu sein? In diesem Sinne ist der Lehrsatz des Zen: „Triffst du Buddha, töte ihn“ Motto des dritten Teils der Trilogie.
Folgende Schlagworte sind bei der Vorbereitung richtungsweisend: Grenzen, Überschreitung, Identität, Flow, Energie, Tod.
Flow ist die Bewegung von Kosmos und Geschichte, die nun in der Permanenz sich ereignet. Das Akzeptieren der Vergänglichkeit (Sterblichkeit) wird zu einem Fest, das die Perspektive auf die Zukunft eröffnet. Erst dort, wo die Vergangenheit lebendig ist, kann es eine Zukunft geben. Vergangenheit (Erinnerung) und Zukunft (Phantasie) verschmelzen miteinander im Jetzt. Im Jetzt begehen wir mit dem Publikum, das längst kein Publikum mehr ist, das Fest der Zeit. Wir musealisieren das Museum, entscheiden mit dem Publikum, was wert ist, für die Zukunft aufgehoben zu werden und was weggeworfen wird, wir legen ein neues Museum an und wir entdecken die Verbrauchsspuren an Gegenständen, Spuren, die uns berühren. Wir fragen nach der Zukunft, indem wir die Gegenwart fotografieren und sogleich als unsere Vergangenheit entdecken. Im Spiel der Verwurzelung werden wir zu unserem eigenen Wurzelwerk (Rhizom).
Köln, den 19. Februar 2012
Kristóf Szabó